Braunschweig (epd). Der 54-jährige Manfred Kießling hüpft in seinen weißen Turnschuhen ausgelassen zu den Gospel-Rhythmen auf und ab. "Die Musik steckt einfach an", ruft er fröhlich. Der Maschinenbaukonstrukteur und Chorsänger ist aus dem rund 200 Kilometer entfernten westfälischen Herzebrock-Clarholz zum 8. Internationalen Gospelkirchentag nach Braunschweig gekommen. Zu dem dreitägigen Musikfestival unter dem Motto "Welcome home" versammelten sich vom 9. bis 11. September mehr als 40.000 Besucher in der niedersächsischen Stadt.
Der Gospelkirchentag gilt als Deutschlands größtes Gospel-Festival. Rund 4.500 Sänger aus ganz Deutschland und 14 Nationen hatten sich angemeldet. Schon bei der Eröffnung reckten Tausende Besucher ihre Hände im Takt der Musik in den Himmel. Oft dauert es nur wenige Minuten, bis die Masse in den Chor-Gesang auf der Bühne einstimmt: "Let It Shine."
Unter lautem Jubel wurde der Gospelkirchentag vom braunschweigischen Landesbischof Meyns eröffnet. Der Theologe, selbst einmal im Nebenamt Kirchenmusiker, bezeichnet sich als "alten Jazzer und Fan von Gospelmusik." Geschäftsführer Martin Bartelworth verrät, dass Meyns bei einer Probe für den Gospelkirchentag schon selbst ambitioniert in die Piano-Tasten gehauen und sich somit den Beinamen "Gospel-Bischof" eingehandelt habe.
Währenddessen wartet der 13-jährige Robin Rinkowitz, schwarz gekleidet und mit einem blauen glitzernden Hut vor der Bühne auf seinen Auftritt. Er singt mit den "SoulTeens" aus dem rheinländischen Langenfeld bei der Eröffnung vor 8.000 Menschen. Lampenfieber habe er keines, beteuert er. "Gospel macht mir einfach Spaß und ich hoffe, dass es auch anderen Leuten Spaß macht, wenn ich singe."
Auch die Teilnehmerinnen Kristin Bohn (57) von der Ostsee-Insel Rügen und Katja Renken (32) aus Ostfriesland bestätigen: "Singen macht glücklich und froh". Beide haben sich erst vor wenigen Stunden in einer Gemeinschaftsunterkunft kennengelernt und schlendern nun mit einem Eis in der Hand durch die Straßen. "Wir teilen uns eine Matratze", scherzen sie. Rund 800 Teilnehmer übernachten in einer der Gemeinschaftsunterkünfte in Turnhallen der Stadt.
In einem Zelt direkt neben der Hauptbühne ändert sich die ausgelassene Stimmung plötzlich. Flüchtlinge und Aussiedler erzählen anhand von Bildern auf selbst genähten Segeln ihre Flucht-Geschichte und ihre Wünsche. Immer wieder bleiben die Besucher vor den Bildern stehen, zünden Kerzen an und stellen sie in den Sandboden. Besonders viele leuchten unter dem Bild "Frieden für Syrien". Die Ausstellung der Diakonie im Braunschweiger Land ist Teil des Mottos "Gospel für eine gerechte Welt", bei dem sich zahlreiche soziale Organisationen vorstellen.
Insgesamt traten 90 Gospelchöre an 25 Veranstaltungsorten in der gesamten Innenstadt auf. Im Landesmuseum spielen Blechbläser Swing- und Jazz-Melodien, im Braunschweiger Dom singt die Jugendkantorei Psalmen. In einem Shopping-Center spielt die US-amerikanische A-cappella-Band "Undivided". Hunderte Zuschauer stimmen mit ein, so dass der Gesang laut durch das Einkaufszentrum hallt.
Im hinteren Bereich an der Rolltreppe tanzt und singt auch die freiwillige Helferin Angelika Müller in orangefarbener Weste mit. Rund 150 Ehrenamtliche helfen den Besuchern in diesen Tagen und geben Auskunft über das Programm oder den schnellsten Weg zur Toilette. "Ich hatte gehofft, dass ich während der Arbeit auch ein bisschen was hören kann", strahlt die 61-jährige Kirchenchorsängerin vergnügt.
Westfale Kießling ist auch noch bei den Massenchorproben mit bis zu 4.500 Stimmen dabei. Er besucht schon zum dritten Mal einen Gospelkirchentag und zieht auch nach den drei Tagen in Braunschweig eine begeisterte Bilanz: "Die Atmosphäre ist unbeschreiblich, einfach Gänsehaut pur."